(2) Der Hinker und wir (Download)
Sommer 1986, der Sommer, in dem wir aus der großen Stadt hinaus aufs Land zogen. Wir wohnten am Rand eines winzigen Dorfes, in einem alten, verwinkelten Haus, das mein Vater für uns herrichtete. Als Indianer verkleidet schlichen wir durch die Stockwerke. Und wenn wir auf den staubigen Dachboden stiegen, fürchteten wir uns vor den Fledermäusen, die dort wohnten. Weiter draußen, hinter den Feldern und Wassergräben, lebte eine Mutter mit ihrem behinderten Kind. Wir sahen die beiden nur selten.
Eigentlich hatten wir ja gar nichts gegen diesen Jungen, den die anderen Kinder nur den "Hinker" nannten. Und eigentlich konnten wir nichts für das, was ihm passierte. Für das, was die anderen ihm antaten. Und doch machten wir uns schuldig.
So begann der Schrecken, von dem diese Geschichte erzählt. Noch heute, als erwachsener Mann, erinnere ich mich an die durchwachten Nächte, an das schnelle, rasselnde Atmen meines Bruders, an den Geruch seiner Angst, der unser Kinderzimmer füllte...